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Sexuelle Übergriffe auf Männer

Sexuelle Übergriffe auf Männer? Ja die gibt es. Auch bei uns im Hochstift. Wir haben mit Betroffenen und Hilfe-Gebenden über das Thema gesprochen.


Betroffener Andreas (57)

Andreas Schwarze hat die letzten Jahre in Paderborn gewohnt. Als Kind wurde Andreas mehrere Jahre nicht nur von seinem Pastor, sondern auch von seinem Vater und einem Feldarbeiter aus Italien sexuell missbraucht. 50 Jahre lang hat Andreas geschwiegen und niemandem von den Vorfällen in seiner Kindheit erzählt. Obwohl er bei den Missbräuchen noch ein Kind war, hatte Andreas auch noch als Erwachsener Angst, dass ihm niemand glauben würde. Schließlich sei er ja ein Mann. Wir waren die Ersten, denen er die ganze Geschichte erzählt hat:


Betroffener Tim (24)

Über 10 Jahre lang wurde Tim, der aus dem Hochstift kommt, von seinem Adoptivvater regelmäßig sexuell missbraucht. Über 560 Fälle legten die Richter dem Mann damals zur Last. Die Gerichtsverhandlung ist mittlerweile sechs Jahre her. In dieser Zeit hat Tim viel daran gearbeitet seine Vergangenheit zu akzeptieren. In einem Interview hat er uns seine Geschichte erzählt:


Weiterer Betroffener Andreas (49)

Andreas wohnt im Hochstift und wurde als Jugendlicher von seinem Fußballtrainer sexuell missbraucht. Monatelang hat dieser ihn nach dem Training nach Hause gefahren und ihn vergewaltigt.
Das Besondere an seiner Geschichte ist aber, dass Andreas es geschafft hat, mit seinem Schmerz abzuschließen, indem er seine Vergangenheit akzeptiert hat. Wie Andreas es geschafft hat diese traumatischen Ereignisse zu verarbeiten, das hat er uns im Interview erzählt:

Inzwischen arbeitet Andreas in der Jugendhilfe und bietet auch Gespräche für Betroffene von sexualisierter Gewalt an. Unter seiner Rufnummer 05251 7867144 könnt ihr ihn erreichen, wenn auch ihr jemanden braucht, mit dem ihr reden könnt.


Was ist Sexualisierte Gewalt?

Sexualisierte Gewalt bezeichnet Handlungen, die das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Menschen verletzen. Sie können mit anzüglichen Bemerkungen und "Grabschen" beginnen und bis hin zur Ausübung massiver körperlicher Gewalt gehen. Wir sprechen von sexualisierter Gewalt auch dann, wenn Autorität, Macht oder Vertrauen gegenüber einem Kind/Jugendlichen benutzt werden, um eigene sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen. Dies muss nicht immer körperliche Spuren hinterlassen. (Quelle: Zartbitter Münster)


Vorurteile zu sexueller Gewalt an Männern

Wenn es darum geht, dass Männer Opfer von sexuellen Übergriffen werden, stößt man nicht selten auf Aussagen wie "Wie soll denn eine Frau einen Mann vergewaltigen?" Oder "Wenn ein Mann eine Erektion hat, dann hat er auch automatisch Lust". 

Beides stimmt nicht, sagt Psychologin Monique Tredt-Gockel.

Insgesamt gibt es viele Vorurteile, die dafür sorgen, dass Männer oft große Schwierigkeiten haben, darüber zu reden, wenn sie sexuelle Gewalt erfahren haben.


Hilfe bei der Beratungsstelle Belladonna in Paderborn

Noch mehr Tabus gibt es, wenn Männer Opfer sexualisierter Gewalt durch eine weibliche Täterin werden. Anja Willeke von der Beratungsstelle Belladonna aus Paderborn hat sich auf die Beratung von Männern spezialisiert, die sexuelle Übergriffe erlebt haben. Uns hat sie von ihrer jahrelangen Erfahrung erzählt:

Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Recherche

Opfer sexualisierter Gewalt sind laut offiziellen Zahlen vor allem Frauen. Laut offiziellen Zahlen. Also Fälle, die bei der Polizei angezeigt wurden. Ähnlich wie bei häuslicher Gewalt, gehen Experten und Beratungsstellen von einer massiv hohen Dunkelziffer aus. Grund dafür ist vor allem Scham. Scham zuzugeben, Opfer von einem sexuellen Übergriff geworden zu sein

Das Bild vom „starken unbesiegbaren Mann“ ist auch 2024 immer noch weit verbreitet. Das Resultat daraus: Starke Männer können nicht gleichzeitig Opfer von sexualisierter Gewalt sein. Der Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BKFM) beschreibt es so: „Wenn „Männer“ keine Opfer werden, dann sind im Umkehrschluss Opfer auch keine „Männer“.

Die Angst, dass man ihnen schlicht und ergreifend nicht glauben würde, ist bei vielen Männern sehr präsent. Wenn über Gewalt und Geschlechter gesprochen wird, sind die Rollen auch 2024 noch eindeutig verteilt: Männer sind Täter und Frauen sind Opfer. Das muss sich dringend ändern – auch im Kontext „sexuelle Gewalt“.

Häufige Reaktionen von Kollegen oder Freunden sind leider oft Aussagen wie „Sei doch froh!“ oder „Was stellst du dich denn so an? Du wirst dich doch wohl nicht von einer Frau vorführen lassen!“. Auch diese Aussagen resultieren oft aus veralteten Annahmen, dass ein „Mann“ doch „immer Lust haben müsse“

Alle Betroffenen, mit denen wir uns unterhalten haben, bestätigen, dass das Schweigen und in sich reinfressen sie am meisten belastet hat. Alle haben von massiven psychischen Folgen berichtet, als sie noch versucht haben die Übergriffe zu verdrängen. Erst als sie sich Beratungsstellen oder Vertrauten gegenüber geöffnet haben, konnte eine Verarbeitung und damit ein Heilungsprozess beginnen. Darüber reden und die Vergangenheit akzeptieren ist die Medizin, die hilft.


Kommentar zur Recherche

Bei meiner Recherche zum Thema "Sexuelle Übergriffe auf Männer" gab es anfänglich Schwierigkeiten, überhaupt Gesprächspartner und -partnerinnen zu finden. Bei ersten Anrufen kam vom anderen Ende der Leitung fast immer die Frage „Sie meinen Männer als Täter, die eine Frau sexuell missbrauchen, richtig?“

Nach einer Verneinung folgte dann die Frage nach häuslicher Gewalt, die Frauen gegenüber Männern ausüben – also keine sexuelle Gewalt. Das Bild, was bei der Gelegenheit dann meistens aufkommt, ist das altbackene Karikatur-Klischee der Bratpfannen-schwingenden Frau und dem Mann, der spät nach Hause kommt.

Und genau durch diese Reaktionen und der automatischen Vermutung, dass man sich verhört hat, wird die ganz grundsätzliche Bedeutung einer Reportage über das Thema "Sexuelle Übergriffe auf Männer" klar.

Und wenn jetzt jemand fragt, warum macht ihr nichts über sexuelle Übergriffe auf Frauen? Das haben wir schon mehrfach und machen wir auch wieder. Aber es gibt eben auch diese Seite. Und die verdient es nicht weniger beachtet zu werden.

Wenn auch ihr Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen auf Männer gemacht habt, insbesondere, wenn die Betroffenen zur Tatzeit volljährig waren, dann würde ich mich freuen, wenn ihr uns eure Geschichte erzählt.

- Ronja Baumgarten


Ihr habt Anmerkungen zum Thema oder Anregungen für Ronja? Dann meldet euch gerne per Mail bei ihr unter ronja.baumgarten@radiohochstift.de.


Hilfestellen für betroffene Männer:

MUT.ich:
Telefon: 05251 8891405
E-Mail: mutich@caritas-pb.de

Weisser Ring e.V.:
Telefon: 05251/370987
E-Mail: paderborn@mail.weisser-ring.de
Homepage: paderborn-nrw-westfalen-lippe.weisser-ring.de

Beratungsstelle Belladonna beim SKF:
Telefon: 05251 1219630
E-Mail: willeke@skf-paderborn.de


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