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Kokain - Volksdroge im Hochstift

K O K A I N. Eine Droge, die den Alltag unzähliger Menschen im Hochstift bestimmt. Weil sie Teil der Drogenszene sind und konsumieren. Weil sie Teil der Oberschicht sind und konsumieren. Oder, weil sie in einer Drogenberatungsstelle arbeiten. Weil sie in einer Klinik arbeiten, die Abhängige behandelt. Weil sie als Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter täglich mit der Sucht konfrontiert werden. Oder, weil sie Ermittler bei der Polizei sind. Oder, weil sie sich als Politiker mit diesem Thema beschäftigen. Oder, weil sie als Schmuggler arbeiten.

In einer gemeinsamen Recherche von Radio Hochstift und der Neuen Westfälischen haben wir mit all diesen Menschen seit Jahresbeginn (2025) gesprochen. Wir haben warnende, abgezockte, motivierte und vom Leben gezeichnete Menschen erlebt. Sie können sich aber auf mindestens einen Nenner einigen: Auch das Hochstift wird seit einiger Zeit mit Kokain geschwemmt.

Mit Elisa R. hat eine talentierte Zeichnerin eine Graphic Novel zu diesem Thema gestaltet. Ihre eindrucksvollen Zeichnungen zeigen das Leben einer Paderbornerin in der Drogenszene. Mit einem Klick auf das Bild seht ihr die ganze Graphic Novel.

 

Auf dieser Seite findet ihr Interviews, Videos, Erfahrungsberichte und vieles mehr. Zum ersten Mal überhaupt wurde, auf Initiative von Radio Hochstift und der Neuen Westfälischen, in Paderborn ein sogenanntes Abwassermonitoring in Bezug auf Kokain durchgeführt.

Wir wollen nicht dramatisieren. Wir wollen die Realität abbilden und damit zu einer Versachlichung der Debatte beitragen - auch in Bezug auf einen möglichen Drogenkonsumraum in Paderborn.

Selbstverständlich findet ihr auf dieser Seite auch Hilfs- und Beratungsangebote.

Wie immer gilt: Wir freuen uns riesig über Feedback jeglicher Art. Die passende Mailadresse findet ihr ganz unten auf dieser Seite.


Manager: "In bestimmten Clubs konsumieren alle"

Er wohnt im Kreis Paderborn. Er ist IT-Manager und verdient sehr gutes Geld. Jahrelang arbeitete er in einer deutschen Großstadt und fing an, Kokain zu konsumieren. Sein Freundeskreis: Banker und Mitarbeitende aus Großkonzernen.

"Ein gutes Essen mit den Jungs. Ein schwerer Rotwein. Und dazu Kokain - das kann man schon machen. An diesen Abenden haben wir uns emotional geöffnet und über die Welt philosophiert."

Uns hat der Mann erzählt, wie normal Kokain in wohlhabenden Kreisen ist, wie in schicken Clubs direkt beim Kellner bestellt wird und warum er bis heute froh ist, dass Kokain weiter illegal ist. Um seine Identität zu schützen, haben wir seine Stimme verfremdet.

Foto: Lukas Kawa


Chefarzt: "Relevantes Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen"

Tilmann Magerkurth ist Chefarzt der Abteilung Suchtambulanz der LWL-Klinik in Paderborn. Jedes Jahr behandeln sein Team und er 400 bis 500 drogenabhängige Patientinnen und Patienten. Auch der 60-Jährige bestätigt: Kokain spielt eine immer größere Rolle.

Tilmann Magerkurth hat uns noch viel mehr Erklärungen gegeben - unter anderem zu den Themen…

...Freizeitkonsum

“Ein Konsum so einer Substanz birgt immer das Risiko, dass er irgendwann abhängig wird. Die meisten Menschen mit einer Abhängigkeit von Kokain haben ja nicht angefangen mit dem festen Vorsatz, das mache ich jetzt täglich, sondern eben nur im Freizeitbereich. Wenn sich das so einbürgert, hat es natürlich immer das Risiko, dass es irgendwann eskaliert. Gerade dann, wenn es vielleicht irgendwelche privaten Krisensituationen gibt und man dann denkt, ach, damit ging es mir immer gut, da kann ich ja darauf zurückgreifen, dann gibt es natürlich ein relevantes Risiko, dass es dann häufigen und regelmäßigen Konsum gibt, um so eine private Krisensituation zum Beispiel zu überstehen.”

...eigene Überzeugung

"Das ist was, wo man schon auch viel bewegen kann. Es ist auch berührend, wenn man sich mit den Menschen beschäftigt und verstehen lernt, was eigentlich so individuelle Beweggründe sind zu konsumieren und möglicherweise dann auch Wege findet, gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten da wieder rauszukommen." (Tilmann Magerkurth, Chefarzt Abteilung Suchtmedizin, LWL-Klinik Paderborn)


Premiere: Kokain-Abwassermonitoring in Paderborn

Monatelang liefen die Vorbereitungen - dann war es soweit: Im Paderborner Klärwerk wurde am Wochenende rund um den 1. Mai dieses Jahres (2025) eine sogenannte 72 Stunden-Mischprobe entnommen.

Diese wurde anschließend in ein Labor nach Peine geschickt. Von dort ging die Reise weiter in ein spezialisiertes Sub-Labor in Frankreich. Dort wurde die Substanz Benzoylecgonin herausgefiltert. Dieses Abbauprodukt entsteht im Körper, wenn die Person Kokain konsumiert. Es wird über den Urin wieder ausgeschieden und gelangt so ins Abwasser.

Die Analyse ist sehr aufwändig. Aktuell warten wir noch auf die Ergebnisse. Sobald diese vorliegen, findet ihr diese natürlich hier.

Eine Studie mit teils weltweiten Werten und viel mehr Infos zu diesem Thema findet ihr auf der Homepage der Drogenagentur der Europäischen Union (EUDA).


Mehr Kokainabhängige in Hochstift-Beratungsstellen

Dominik Neugebauer ist Bereichsleiter Soziale Dienste beim Caritasverband Paderborn. Dort ist auch die Jugend- und Drogenberatungsstelle (DROBS) angesiedelt.

DROBS berät und vermittelt Menschen aus dem Kreis Paderborn, die von illegalen Substanzen abhängig sind oder riskante Konsummuster aufweisen.

Neugebauer hat uns erklärt:

  • Anzahl der beratenen Menschen mit einer Kokainabhängigkeit hat sich seit 2022 verdreifacht
  • 2024 wurden in der Beratungsstelle 50 kokainabhängige Personen beraten
  • vornehmlich junge Männer zwischen 20 und 39 Jahren
  • Gründe:
    • Kokain ist leichter verfügbar
    • hoher Reinheitsgehalt --> drastische Zunahme physischer und psychischer Auswirkungen

Sozialarbeiter: "Kokain wirkt zerstörerisch"

"Kokain hat halt seine ganz eigenen Gefahren für die Konsumenten. Es macht die Leute auch ein bisschen empfindlicher, reizbarer, auch aggressiver unter Umständen. Die Nerven liegen bei vielen blank.“ (Dirk Wildenberg, Sozialarbeiter, Paderborn)

Dirk Wildenberg arbeitet seit 25 Jahren im B2-Kontaktcafé des Paderborner Vereins KIM Soziale Arbeit. Seit Jahrzehnten hat der Diplom-Sozialarbeiter also täglich Kontakt zu Kokain-Konsumenten aus der Drogenszene. Im Interview mit Tobias Fenneker (Radio Hochstift) und Mareike Gröneweg (Neue Westfälische) hat er über Entwicklungen auf dem Kokain-Markt im Hochstift gesprochen:

RH/NW: Hr. Wildenberg, was sind die Gefahren und die Folgen des Kokain-Konsums?

Dirk Wildenberg: "Also ein großes Problem bei Kokain ist, dass es eine Substanz ist, die, wenn sie intravenös konsumiert wird, nicht aufgekocht wird. Das heißt, da können immer Keime drin sein, es wird kalt aufgelöst. Es können also immer Keime ungefiltert in den Körper gelangen. Dann können unter Umständen auch eine Sepsis oder Entzündungen auftreten. Und gerade wenn man in der Szene lebt, obdachlos ist, sind Entzündungen, auch kleine, immer gefährlich. Die Menschen gehen seltener zum Arzt, haben dafür wenig Zeit, auch oft Scham, die sie hindert zum Arzt zu gehen.

Ein weiterer Effekt von Kokain ist natürlich auch, dass es praktisch diesen Fight-Flight-Freeze-Modus auslöst. Hungergefühle werden unterdrückt, Durst wird auch ein bisschen ignoriert, die Blutgefäße verengen sich, der Herzschlag wird erhöht, der Blutdruck steigt. Also alles so Sachen, die nicht so gesund sind für uns Menschen. Vor allen Dingen, wenn man dann keine Ruhephasen hat."

Das komplette Interview könnt ihr an dieser Stelle lesen.


Abhängiger Konsument: "Jeden Tag dasselbe Spiel: Geld machen, konsumieren, Geld machen, konsumieren"

Stefan wuchs in Hessen auf und kam Anfang der 1990er-Jahre nach Paderborn. Seit 30 Jahren konsumiert der heute 52-Jährige Kokain. Seit Jahren lebt er tagsüber auf der Straße - er schläft in einer Notübernachtungsstelle in Paderborn. 

Jasmin lebte die ersten vier Jahre ihres Lebens in Paderborn-Sennelager - zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Vater, einem britischen Soldaten. Dann zog sie mit ihrer Mutter nach Schlangen, um später nach Paderborn zurückzukehren. Auch die 44-Jährige konsumiert seit Jahren Kokain.

Das Duo hat uns emotionale und authentische Einblicke in ihr Leben gewährt. Wie sieht ihr Alltag aus? Warum werden sie kriminell? Was macht das Kokain mit ihrem Körper? Hier könnt ihr ihre Antworten hören:

"Für mich ist Kokain schlimmer als Heroin. Es ist teurer und man baut körperlich so stark ab. Man isst nichts, man trinkt nichts, man ist nur auf Achse. Man nimmt ab und hat überall Wunden." (Stefan, jahrelanger Kokain-Konsument, Paderborn)

Streitthema Drogenkonsumraum

Pro & Contra Drogenkonsumraum

Seit mehr als 30 Jahren wird in Paderborn über einen Drogenkonsumraum diskutiert - bislang ohne Ergebnis. In den vergangenen Monaten wurden die Diskussionen wieder intensiver. Der Verein KIM Soziale Arbeit, der Caritasverband und der LWL haben ein Konzept für einen möglichen Drogenkonsumraum in Paderborn erstellt. Es gibt auch einen Arbeitskreis Drogenkonsumraum.

In einem Drogenkonsumraum erhalten die Konsumentinnen und Konsumenten saubere Spritzen, sterile Löffel, Alufolie, Mundstücke, Filter etc., um die Drogen, die sie mitbringen, in einer geschützten Umgebung zu konsumieren. Die Räume werden von geschulten Mitarbeitenden betreut - diese können auch bei einer möglichen Überdosis einschreiten.

Im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Kreises Paderborn wurde zuletzt am 12.06.2025 über das Thema Drogenkonsumraum diskutiert und ein Beschluss gefasst.

15 der 16 Ausschussmitglieder stimmten für den zuvor eingereichten Antrag.

Konkret soll jetzt ein Konzept für ein Drogenhilfezentrum entwickelt werden, in das die Überlegungen zum Drogenkonsumraum miteinbezogen werden. Kreis und Stadt Paderborn sollen gemeinsam daran arbeiten. Landrat Christoph Rüther wurde beauftragt, mit der Stadt über den Drogenkonsumraum zu beraten.

Auch der Kreisausschuss (30.06.2025) gab hierfür grünes Licht. Die endgültige Entscheidung fällt im Kreistag (07.07.2025).

Der offizielle Beschlusstext lautet:

"Der Landrat des Kreises Paderborn wird beauftragt, mit den Verantwortlichen der Stadt Paderborn, insbesondere mit dem Bürgermeister, Gespräche über die Situation suchtmittelabhängiger Menschen im Stadt- und Kreisgebiet zu führen. Ziel dieser Gespräche soll sein, gemeinsam mit den bestehenden Trägern der Suchtkrankenhilfe ein Konzept für ein Drogenhilfezentrum zu entwickeln, das an geeigneter Stelle (bzw. an geeigneten Stellen) etabliert und perspektivisch weiterentwickelt werden kann. Dabei sollen auch Überlegungen zu einem Drogenkonsumraum, der in Paderborn seit Jahren diskutiert wird, ausdrücklich einbezogen werden. Das Drogenhilfezentrum ist eine gesundheits-, sozial- und auch ordnungspolitische Maßnahme.


Im Drogenhilfezentrum sollen verschiedene Angebote an drogenabhängige Menschen aus Paderborn gemacht werden, z. B. Beratungsmöglichkeiten, Drogenkonsumraum, Aufenthaltscafé, ein niederschwelliges medizinisches Angebot. Ziel ist es, zum einen einen sicheren sauberen Raum für den Konsum von selbst mitgebrachten Drogen zu ermöglichen. Zum anderen durch ein leicht zugängliches Angebot einen Kontakt zu den Konsumentinnen und Konsumenten aufzubauen und diese mit dem bestehenden professionellen Hilfesystem und dessen An-geboten vertraut zu machen.


Die Sozialausschüsse der Stadt und des Kreises sowie der Gesundheitsausschuss des Kreises sind über eine AG Sucht- und Drogenhilfe frühzeitig in die Planungen einzubinden. Die Gespräche sollen ergebnisoffen geführt werden, wobei alle Ergebnisse unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit stehen. Parallel dazu sollen Gespräche mit überörtlichen Trägern, wie beispielsweise dem Landschaftsverband, geführt werden, um zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten. Zudem sind Fördermöglichkeiten von Land, Bund und EU zu prüfen und gegebenenfalls zu erschließen."

Wo könnte ein möglicher Drogenkonsumraum in Paderborn entstehen? Im Konzept wird laut KIM-Geschäftsführerin Nicole Wiggers kein konkreter Ort benannt. Schon seit dem vergangenen Jahr ist aber das Gebäude der Stadtarchäologie im Gespräch - dieses liegt am Busdorfwall in direkter Nachbarschaft zum bereits bestehenden Kontaktcafé B2, das täglich von vielen Drogensüchtigen aufgesucht wird.

Einige Anwohnerinnen und Anwohner des möglichen Standortes am Busdorfwall lehnen einen Drogenkonsumraum in ihrer Nachbarschaft entschieden ab. Sie fürchten, dass sich dadurch künftig mehr Drogensüchtige in diesem Bereich aufhielten und es dadurch mehr Probleme gebe. Außerdem liege die Kita Schwalbennest (Kasseler Straße) nur wenige Meter entfernt - dies würde nicht zu einem Drogenkonsumraum passen. Schon jetzt sei die Situation rund um den Busdorfwall schwierig. Unter anderem würden ständig benutzte Spritzen in Hauseingängen liegen.  

Die deutliche Mehrheit der Konsumentinnen und Konsumenten aus der Paderborner Drogenszene spricht sich für einen Drogenkonsumraum aus. Konsument Stefan sagte im Gespräch mit Radio Hochstift und der Neuen Westfälischen wörtlich:

"Drogentourismus durch einen Drogenkonsumraum? Das ist völliger Schwachsinn. Keiner kommt nach Paderborn, um zu konsumieren. Die kommen hier höchstens hin, um was zu kaufen und hauen dann wieder ab.

Die Einzigen, die konsumieren würden, wären die Leute, die sowieso konsumieren. Nur die müssten halt nicht mehr in Gebüschen konsumieren oder in irgendwelchen Kelleraufgängen und ihre Pumpen dann irgendwo da hinschmeißen oder in der Ecke liegen lassen. Das würden sie dann halt in einer sterilen Umgebung tun können. Das Stadtbild wäre auch ein anderes."

Tilmann Magerkurth, Chefarzt der Abteilung Suchtmedizin der Paderborner LWL-Klinik, hat zu einem möglichen Drogenkonsumraum eine klare Meinung:

"Natürlich ist das eine gute Einrichtung. Also wir sehen seit einigen Jahren, dass es jedes Jahr (bundesweit) wieder eine steigende Anzahl von Drogentoten gibt. Und natürlich ist ein Drogenkonsumraum eine Einrichtung, die grundsätzlich geeignet ist, um einen Drogentod zu vermeiden. Und damit ist es medizinisch auf jeden Fall eine sinnvolle Einrichtung."

"Ich glaube, im Moment ist eher die Frage, kann man eine sinnvolle Finanzierung aufstellen? Das heißt, wie viel Geld wäre da oder wie viel müsste man dafür aufwenden? Und reichen die finanziellen Mittel, die man dazu aufwenden könnte, dafür, den zu sinnvollen Öffnungszeiten aufrecht zu erhalten? Weil einen Drogenkonsumraum, den man drei oder vier Stunden am Tag öffnet, den braucht man im Grunde nicht, weil er nicht den gewünschten Effekt hat. Das heißt, man braucht schon auch relevante Öffnungszeiten."

Selbstverständlich sprechen sich auch die Träger der Suchthilfe für die Einrichtung eines Drogenkonsumraums aus. Ein ausführliches Interview mit KIM-Geschäftsführerin Nicole Wiggers findet ihr direkt unter diesem Pro & Contra-Infokasten.

Auf Anfrage hat auch Dominik Neugebauer Stellung bezogen. Er ist Bereichsleiter Soziale Dienste beim Caritasverband Paderborn. Dort ist auch die Jugend- und Drogenberatungsstelle (DROBS) angesiedelt.

„Ein Drogenkonsumraum in Paderborn wäre eine gute Ergänzung der örtliche Suchthilfelandschaft. Der öffentliche Raum würde entlastet, da jeder Konsumvorgang im Drogenkonsumraum ein Konsumvorgang weniger in der Öffentlichkeit bedeutet. Zusätzlich würde der Drogenkonsumraum eine weitere Brücke für Betroffene in das Hilfesystem bedeuten. Er rettet Leben und verhindert Infektionskrankheiten. Da ein möglicher Konsumraum ausschließlich für Menschen mit Wohnsitz im Kreis Paderborn eingerichtet würde, kann ein Sogeffekt aus anderen Regionen ausgeschlossen werden.“

Bis Mitte Mai 2025 war der Delbrücker Burkhard Blienert Drogenbeauftragter der Bundesregierung. Zum Thema Drogenkonsumraum hat er im Gespräch mit Radio Hochstift und der Neuen Westfälischen gesagt:

"Insgesamt muss das Hilfesystem abgestimmt und vielfältig aufgestellt sein, niedrigschwellige Angebote genauso wie nachhaltige Angebote Richtung Behandlung von Suchterkrankungen. Drogenkonsumräume, Drugchecking, die Möglichkeiten eben tatsächlich mit den Konsumierenden in Kontakt zu kommen, aber auch die soziale Komponente immer mitzudenken, ist auch eine wesentliche Voraussetzung.

Es gibt eine Wechselbeziehung zwischen Hilfseinrichtungen und Drogentoten. Es gibt noch andere Aspekte, die man beachten muss, die nicht in dem Kreis von Drogengebraucherinnen und -gebrauchern liegen, sondern insgesamt gesellschaftliche Entwicklung überhaupt beinhalten. Aber Drogenkonsumräume retten definitiv Leben."

Selbstverständlich haben wir mit dem 59-Jährigen auch über Kokain gesprochen. Seine Erkenntnisse findet ihr weiter unten auf dieser Seite.

Die Interessengemeinschaft (IG) Innenstadt befürchtet „gravierende negative Auswirkungen“, falls Paderborn in City-Nähe einen Drogenkonsumraum bekommt. Um ihre Meinung zu untermauern, bezog sich die IG Innenstadt in einer Pressemitteilung auch auf Aussagen der Kölner Polizei. Diese hatte in der Vergangenheit von einer Sogwirkung eines Drogenkonsumraums berichtet. Demnach habe die Kölner Polizei festgestellt, dass im Umfeld des Drogenkonsumraums am Heumarkt die Zahl der Abhängigen gestiegen sei. 

Nicole Wiggers ist Geschäftsführerin des Paderborner Vereins KIM Soziale Arbeit und seit langer Zeit führend an den Gesprächen zu einem möglichen Drogenkonsumraum beteiligt. NW-Redakteurin Mareike Gröneweg hat mir ihr gesprochen.

Mareike Gröneweg: Die Debatte um den Drogenkonsumraum in Paderborn ist sehr lang. Wie ist der aktuelle Stand?

Nicole Wiggers: “Vor 20 Jahren gab es ja schon mal eine Auseinandersetzung oder eine lange Beschäftigung mit dem Thema Drogenkonsumraum. Und aus meiner Perspektive war es zu der Zeit überhaupt nicht möglich, sich inhaltlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Derzeit ist das durchaus der Fall. Wir als Träger (Caritasverband und KIM) haben ein Konzept erarbeitet und sind derzeit in Gesprächen mit unterschiedlichen Kommunalpolitikern des Kreises, mit denen wir über inhaltliche Aspekte des Drogenkonsumraums sprechen. Dies bedeutet nicht, dass eine Finanzierung sichergestellt ist und schon gar nicht, dass schon ganz klar ist, falls es einen Drogenkonsumraum geben sollte, an welchem Standort der eingerichtet werden würde. Dazu gibt es eines Wissens noch keine konkreten Überlegungen.”

Das komplette Interview könnt ihr an dieser Stelle nachlesen.


Chef-Ermittler: "Es ist besorgniserregend. Wir werden zugeschwemmt mit Kokain."

Stephan Binder ist seit 1982 Polizist und seit 1993 bei der Polizei im Kreis Paderborn. Er ist Leiter des KK3 - dieses ist für die Drogen-Ermittlungen zuständig. Beim Thema Kokain nimmt der 59-Jährige kein Blatt vor den Mund. Uns hat er erzählt: über die Ermittlungen auf dem Kokain-Markt im Hochstift, über Käufer und Verkäufer, über Preise und Gewinne und seine Befürchtungen für die Zukunft.
 

"Es ist zu viel Geld in den Händen falscher Leute. Und es gibt verschiedenste Möglichkeiten, Drogengelder zu waschen. Das ist unser großes Problem: Follow the money - um das Geld irgendwie zu lokalisieren." (Stephan Binder, leitender Drogenermittler, Kreispolizeibehörde Paderborn)

Preise und Gewinne

  • Einkaufspreis (z.B. in Belgien/Niederlande): ca. 35.000 Euro pro Kilogramm
  • Verkaufspreis (z.B. in Paderborn): ca. 70 Euro pro Gramm, also 70.000 Euro pro Kilogramm


Häufig werden die Drogenkuriere mit etwa zehn Kilo Kokain auf die Reise geschickt. 

  • Gewinn (nach Abzug des Kurierlohns etc.): 25.000-30.000 Euro pro Kilogramm bzw. 250.000-300.000 Euro pro Fahrt

Verkäufer und Organisation

Der Kokain-Markt im Hochstift wird seit Jahren von Albanern kontrolliert. Das System ist straff durchorganisiert.

Fast alle Mitglieder des Systems kennen sich untereinander. Sie stammen aus denselben Familienverbünden bzw. ursprünglich aus denselben Dörfern in Albanien. Ganz unten im System stehen die sogenannten Läufer. Sie verkaufen auf der Straße.

Kokain wird in Paderborn beispielsweise an den bekannten Treffpunkten der Drogenszene angeboten. Die Konsumentinnen und Konsumenten können die Dealer aber auch telefonisch erreichen.

Auch sogenannte Koks-Taxis sind im Hochstift längst unterwegs. Käuferinnen und Käufer bestellen Kokain hierbei bspw. über die sozialen Netzwerke - anschließend wird ihnen die Droge an einen vereinbarten Treffpunkt gebracht.

Die Polizei schätzt, dass täglich mindestens 20-30 Menschen mit der Organisation und der Durchführung des Kokain-Verkaufs im Paderborner Land beschäftigt sind.


Kokainschmuggler: "Hatte ein Leben auf der Überholspur"

Er stellte die Tüte mit dem Kokain einfach immer hinter den Fahrersitz. Mal schmuggelte er einige dutzend Gramm, mal mehrere Kilo. Der 56-Jährige fuhr Kokain aus den Niederlanden nach Deutschland, oft nach NRW. Das Bargeld (teils zehntausende Euro) holte er dann wiederum in Deutschland ab, um es zu den Auftraggebern in den Niederlanden zu bringen.

"Es war nicht schlecht. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es nochmal machen. Aber in Zukunft würde ich es nicht mehr machen (lacht)."

Seit seiner Festnahme im Jahr 2023 sitzt er im Gefängnis, aktuell in der Pflege-Abteilung der JVA Hövelhof. Er wurde zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt.

Wir konnten mit dem gebürtigen Rheinländer sprechen. Um seine Identität zu schützen, haben wir seine Stimme verfremdet.


Ehemaliger Drogenbeauftragter der Bundesregierung im Gespräch

Von Januar 2022 bis Mai 2025 war Burkhard Blienert Drogenbeauftragter der Bundesregierung. Auch zuvor war der heute 59-Jährige aus Delbrück bereits in der Gesundheitspolitik aktiv. Im Gespräch mit Radio Hochstift und der Neuen Westfälischen sagte Blienert unter anderem:

„Da müssen wir in den kommenden Jahren anders ran als bisher. Wir müssen anfangen, endlich ordentlich in Prävention zu investieren.“

Außerdem äußerte sich Blienert zum Thema Kokain im Interview mit Tobias Fenneker und Mareike Gröneweg so:

Kokain in Deutschland, Europa und der Welt

Ihr wollt mehr zum Thema Kokain im bundes-, europa- und weltweiten Kontext erfahren? Dann empfehlen wir euch die Kokain-Themenseite der ZEIT und die Recherchen des FAZ-Journalisten David Klaubert.

Sucht- und Drogenberatung

Im Hochstift gibt es seit Jahren etablierte und kompetente Angebote der Sucht- und Drogenberatung - zum Beispiel diese:


Kreis Paderborn

•    Das B2.Streetwork ist eine niederschwellige, akzeptanzorientierte Drogenhilfeeinrichtung des Vereins KIM – Soziale Arbeit und seit über 25 Jahren Bestandteil des Paderborner Drogenhilfe-Netzes. Das Kontakt-Café am Busdorfwall 2 ist montags bis mittwochs sowie freitags von 8.30 bis 14 Uhr geöffnet sowie donnerstags 10 bis 12.30 Uhr.

•    Die Jugend- und Drogenberatung (DROBS) in Paderborn informiert und berät zum Thema illegale Drogen und vermittelt bei Bedarf in weiterführende Hilfeangebote wie Entgiftung,
ambulante oder stationäre Entwöhnung, ambulant betreutes Wohnen und andere Hilfen. DROBS berät vertraulich, die Beratung ist kostenfrei. Kontakt via E-Mail an drobs@caritas-pb.de oder runter Tel. 05251 8891140.

•    Erster Ansprechpartner zum Thema Selbsthilfe und für Fragen zu allen Selbsthilfegruppen ist die Selbsthilfe-Kontaktstelle Kreis Paderborn. Dort sind Ute Mertens und Hanna Bielefeld montags bis mittwochs von 9.30 bis 13 Uhr und donnerstags von 14 bis 17 Uhr zu erreichen: persönlich, Bleichstraße 39a, unter Tel. (0 52 51) 878 29 60 oder per E-Mail an selbsthilfe-paderborn@paritaet-nrw.org. Weitere Informationen zur Selbsthilfe sind auch unter www.selbsthilfe-paderborn.de zu finden.


Kreis Höxter

•    Im Kreis Höxter bietet unter anderem die Caritas eine Sucht- und Drogenberatung

•    In Warburg gibt es außerdem die Sucht- und Drogenberatung der Diakonie. Die offene Sprechstunde findet Donnerstags von 12 bis 13 Uhr statt.

 

Bundesweit

•    Die Sucht- & Drogen-Hotline ist unter der Telefonnummer 01806 313031 zu erreichen. Sie bietet telefonische Beratung, Hilfe und Informationen durch erfahrene Fachleute aus der Drogen- und Suchthilfe. An die Sucht- & Drogen-Hotline können sich sowohl Menschen mit Suchtproblemen als auch deren Angehörige, Freunde oder Kollegen wenden. Das Angebot ist kostenpflichtig: 0,20 Euro pro Anruf aus dem deutschen Festnetz und aus dem Mobilfunknetz.

•    Kinder und Jugendliche, deren Eltern suchtkrank sind, können sich bei hilfenimnetz.de beraten lassen. Dort gibt es auch Informationen in Einfacher Sprache.

 


Hinter der Geschichte

Ihr könnt euch vorstellen: Auch für Lokaljournalistinnen und Lokaljournalisten ist es nicht selbstverständlich monatelang (neben der Alltags-Arbeit) zum Thema Kokain vor der eigenen Haustür zu recherchieren. Es gab, wie in fast jeder längeren Recherche, Höhen und Tiefen.

Insbesondere unser Wunsch Kokaindealer bzw. Kokainschmuggler aus dem Hochstift persönlich zu treffen, gestaltete sich (erwartungsgemäß) schwierig. Ein Dealer zog seine Zusage für ein Treffen kurzfristig zurück. Immerhin ließ er uns noch wissen, dass er "nur noch Heroin verkaufe", weil ihm "das Kokaingeschäft zu brutal" sei.

Ein weiterer Dealer, mit dem wir über Messenger-Dienste Kontakt aufbauten, verabschiedete sich plötzlich mit den Worten, dass er "für drei Wochen weg" müsse. Nach den drei Wochen: Keine Reaktion mehr auf Nachrichten. Ein weiterer Dealer gab am Telefon auf Nachfrage eine sehr deutliche und direkte Absage. Ein nächster Kontakt tauchte bei Telegram sogar unter, nachdem er eine Nachricht von uns erhielt.

Und noch ein weiterer Kokain-Verkäufer gab (ebenfalls über die sozialen Netzwerke) zunächst bereitwillig Auskunft über Qualitätsstufen und Preise. Als er merkte, dass wir wirklich Infos statt Koks wollten, wurde der Ton schärfer. Ein Treffen kam nicht mehr zustande.


Fragen und Feedback

Ihr habt Fragen zu dieser Geschichte? Ihr wollt uns Feedback geben? Sehr gerne! Schreibt einfach eine Mail an tobias.fenneker@radiohochstift.de

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