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Geheilt von HIV - die Geschichte des Düsseldorfer Patienten

Diese Geschichte klingt fast zu verrückt, um wahr zu sein - aber sie ist es.

Marc Franke ist der dritte Mensch auf der Welt, der von HIV geheilt wurde. Und gleichzeitig auch noch von Leukämie. 

Hier wollen wir seine ganz persönliche Geschichte erzählen, erklären, wie das möglich war und ob es damit eine Hoffnung auf eine Heilung für alle gibt.

Das ist Marc Franke. Er ist 1969 geboren, aufgewachsen in OWL und er wusste schon seit seiner Jugend, dass er schwul ist. Im Jahr 2000 outete er sich. 

Plötzlich HIV-positiv

2008 folgte für Marc Franke die Schock-Diagnose. Als er wegen eines anderen Problems im Krankenhaus war, wurde ihm angeboten, auch einen HIV-Test zu machen. Ein paar Tage wurde er im Dunkeln gelassen, bis ein Arzt ihm eröffnete: Der Test war positiv.

Marc Franke wurde zu einem Spezialisten geschickt, wo er Medikamente bekommen hat.


Infos: Was ist HIV? Was ist AIDS?

Das HI-Virus befällt die sogenannten Helferzellen im Körper, die für die körpereigene Abwehr wichtig sind und setzt damit die Kommandozentrale außer Gefecht. Wenn dann Krankheitserreger in den Körper eindringen, kann das Immunsystem nicht mehr für Ordnung sorgen. Im schlimmsten Fall ist der Körper überhaupt nicht mehr in der Lage, Krankheitserreger abzuwehren.

HIV muss heute nicht mehr zu Aids führen. Wird die HIV-Infektion rechtzeitig erkannt, können Medikamente den Krankheitsverlauf stoppen.

Quelle: Aidshilfe NRW

Eine unbehandelte HIV-Infektion verläuft von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Häufig treten kurz nach der Infektion kurzfristig grippeartige Beschwerden auf. Dann scheint oft lange Zeit nichts zu passieren. Doch das Virus vermehrt sich in dieser Zeit im Körper weiter.

Schließlich ist das körpereigene Abwehrsystem (Immunsystem) so geschwächt, dass verstärkt Infektionskrankheiten auftreten. Doch auch jetzt können Medikamente die Krankheit noch bremsen und das Immunsystem kann sich wieder erholen.

Viele Menschen erfahren erst von ihrer Infektion, wenn sie schwer krank werden. Das liegt daran, dass  sich das Virus in den ersten Monaten oder Jahren oft kaum oder gar nicht bemerkbar macht. Wer ein Infektionsrisiko hatte, sollte sich darum durch einen HIV-Test Gewissheit verschaffen.

Quelle: Aidshilfe NRW

Wird die HIV-Infektion nicht mit Medikamenten behandelt, kann das Immunsystem Krankheitserregern irgendwann nicht mehr viel entgegensetzen.

Schwerwiegende Erkrankungen wie Lungenentzündungen, Pilzbefall der Speiseröhre oder bestimmte Krebsarten können sich ungehindert entwickeln. Auch das Nervensystem und das Gehirn können von HIV geschädigt werden. Erst in diesem Stadium der Krankheit spricht man von Aids.

Aids kommt in Ländern mit guter Gesundheitsversorgung heute immer seltener vor.

Quelle: Aidshilfe NRW

Die Vermehrung des Virus lässt sich mit Medikamenten verhindern. Die Medikamente müssen dauerhaft und regelmäßig eingenommen werden. Die Zahl der Viren im Körper sinkt dann bei den meisten Menschen mit HIV so stark, dass man sie mit den gängigen Methoden nicht mehr nachweisen kann.

Wenn das Virus sich nicht mehr vermehrt, werden die körpereigenen Abwehrkräfte nicht weiter geschädigt und können sich wieder erholen. Zu einer Aids-Erkrankung kommt es dann nicht mehr.

Quelle: Aidshilfe NRW

HIV wird unter anderem beim Sex übertragen - das kann Analsex oder vaginaler Sex sein. Beim Oralverkehr ist die Übertragung eher unwahrscheinlich. 

Auch beim Drogenkonsum kann es zu einer Ansteckung kommen, wenn man sich zum Beispiel eine Spritze teilt. 

Bei der Geburt oder beim Stillen ist eine Übertragung von der Mutter aufs Kind möglich.

Zum Beispiel durch Kondome kann man sich beim Sex vor einer Infektion schützen. Eine HIV-Therapie unterdrückt die Vermehrung der Viren im Körper so stark, dass HIV nach einiger Zeit im Blut nicht mehr nachweisbar ist. HIV kann dann selbst beim Sex oder von der Mutter aufs Kind nicht mehr übertragen werden.

Quelle: Deutsche Aidshilfe


Die nächste Diagnose: Leukämie

2011 kam für Marc Franke die nächste Diagnose: Akute myeloische Leukämie - kurz AML.

Dann kam die Chemo. Die Aussichten waren eigentlich erstmal gut. Nach mehr als einem Jahr kam aber die Nachricht des Onkologen, dass es einen Rückfall gab. Und so stellte sich heraus:

Das war meine einzige Chance, zu überleben: Die Stammzellenspende.

- Marc Franke

In der Zeit, in der der damals 42-Jährige auf seine Stammzellenspende wartete, sah er im Fernsehen eine Doku. Darin ging es um Timothy Ray Brown - genannt "The Berlin Patient". Er war der erste Mensch, bei dem eine Stammzellentransplantation glückte, die ihn von Leukämie und HIV heilte. 

Per Gen-Defekt zur HIV-Heilung

Wie ist das möglich?

Alles dreht sich dabei um eine Gen-Mutation mit dem Namen CCR5-Delta32. Sie macht einen Menschen HIV-resistent.
Darüber haben wir mit Dr. Björn-Erik Ole Jensen gesprochen. Er ist Oberarzt am Universitätsklinikum Düsseldorf und hat Marc Franke behandelt.

Radio Hochstift: Herr Dr. Jensen, wie funktioniert es, dass Menschen mit der Mutation eine Resistenz gegen HIV haben?

Dr. Jensen: Menschen, die diese Genvariante haben - und zwar von Mutter und von Vater - haben [einen bestimmten] (Anm. d. Red.) Rezeptoren nicht auf ihren Immunzellen. Das ist, wenn man so will, eine Andockstelle.
HIV braucht zwei Andockstellen, da gibt es den sogenannten CD4-Rezeptor, der auf den Immunzellen drauf ist, die HIV eben befällt. Und dann braucht es diesen zweiten Rezeptor, den CCR5-Co-Rezeptor, um wirklich in die Zellen reinzukommen. Und der fehlt bei diesen Menschen.

RH: Wie wirkt es sich auf die Gesundheit von Menschen aus, die diese Genvariante besitzen?

Dr. Jensen: Obwohl der Rezeptor durchaus im Immunsystem eine Rolle spielt, lebt man trotzdem gesund ohne ihn. Es gibt Backup-Systeme dafür.
Es gibt zwar ein paar kleine Veränderungen, dass man zum Beispiel für bestimmte Krankheiten ein etwas höheres Risiko hat, bei anderen ist es ein etwas geringeres. Bei HIV ist das Risiko praktisch null. Das hat also Vor- und Nachteile, aber im Endeffekt sind das gesunde Menschen.

RH: Wie häufig ist denn diese Veränderung?

Dr. Jensen: In Nord- und Mitteleuropa hat etwa jeder 100. Mensch die Genvariante.

RH: Warum nur in Nord- und Mitteleuropa?

Dr. Jensen: Das liegt wahrscheinlich an einer der Seuchen des Mittelalters, die das Gen damals in Europa begünstigt hat. Vermutlich waren es die Pocken und vor vielen hundert Jahren.
Es war damals schon mal ein Überlebensvorteil, diese Variante zu haben. Irgendjemand hat die zufällig bekommen und seine Nachfahren waren dadurch erfolgreich und haben diese Seuchen überlebt. 


Die Kraft der Liebe

Schon kurz nach der Diagnose Leukämie gab es für Marc Franke einen persönlichen Lichtblick - aus dem Krankenbett heraus lernte er beim Online Dating einen Mann kennen. Ihm war es egal, dass Marc Franke zwei schwere Krankheiten hatte, sogar ihr erstes Date hatten die beiden im Krankenhaus. 

Im Nachhinein sagt der "Düsseldorfer Patient": 

Ich hatte jeden Abend das Ziel: Ich muss ja fit sein, wenn der mich besuchen kommt. Die Ärzte haben jeden Tag gedacht "Oh, warum geht's dem nicht schlecht?", aber ich hatte einfach keine Zeit, dass es mir schlecht geht. 

Man könnte sagen, The Power of Love hat mich da durchgeführt.

Heute sind die beiden Männer verheiratet!


Die Suche nach einer passenden Stammzellspende

Für Marc Frankes Ärzte begann mit der Gewissheit, dass er eine Stammzellspende braucht, die Suche nach einem passenden Spender oder einer passenden Spenderin. 

Die Ärzte rund um Dr. Jensen kannten ebenfalls den Fall des Berliner Patienten. Er hatte wegen seiner Leukämie-Erkrankung Stammzellen von einem Spender bekommen, der die Genveränderung in seinen Zellen trug. Dadurch konnte bei ihm nicht nur Leukämie, sondern auch noch HIV geheilt werden.

Die Beteiligten an der Uniklinik Düsseldorf gingen also das Risiko ein, gezielt nach einer Person zu suchen, die nicht nur genetisch als Stammzellspenderin zu Marc Franke passt, sondern auch noch die Genmutation CCR5 Delta32 in sich trägt.

Und sie haben jemanden gefunden.

Ein genetischer Volltreffer

Anna Prause ist quasi der genetische Zwilling von Marc Franke - sie war bei der DKMS als potentielle Stammzellspenderin registriert. Als sie als Spenderin in Frage kam, wurde sie nachtypisiert und es stellte sich heraus, dass sie tatsächlich die Genvariante CCR5 Delta32 besitzt. 

Bei der DKMS bekommt man die Stammzellspende anonym, erst später war es für Anna Prause möglich, sich bei demjenigen zu melden, dem sie gespendet hat. Marc Franke bekam einen Brief von ihr - heute sind die beiden gut befreundet.


Rückschläge

Auf die Euphorie folgte eine schwere Zeit: Um gespendete Stammzellen zu empfangen, wird das Immunsystem quasi komplett heruntergefahren. Dann muss der Körper die fremden Zellen akzeptieren.

Bei Marc Franke hat das zwar funktioniert - doch dann folgte etwa ein Jahr später ein Rückfall. Nochmal bekam er eine Chemo-Therapie und weitere Zellen seiner Spenderin. 

Das war wieder eine hochriskante Sache. Das überlebt nicht jeder.

- Marc Franke 

Und das war nicht der einzige Rückschlag. Nach Monaten hatte Marc Franke einen Wunsch: Mal wieder einen Burger essen gehen!

Seine Onkologin sagte, das sei möglich. Auf dem Weg zurück vom Arzt ließ er sich vom Taxi durch einen Drive In eines Schnellrestaurants fahren. Das stellte sich als großer Fehler heraus.

In der Folgewoche hatte ich zwei meldepflichtige Keime, die auf meine Leber gegangen sind. Um die Leber zu schützen, musste ich Cortison nehmen. Weil ich Cortison genommen habe, bin ich Insulin-pflichtig geworden.

Durch das Cortison und die Chemos ist eine Hüfte eingebrochen und ich brauchte eine neue Hüfte. Hätte ich das gewusst, hätte ich auf den Burger verzichtet. Das hat mich ein Jahr zurückgeworfen.

- Marc Franke 

Bis 2018 bekam Marc Franke weiter Medikamente gegen HIV, weil seine Ärzte auf Nummer sicher gehen wollten. Doch dann wurde alles abgesetzt und er gilt seitdem als geheilt. 

Und damit ist er nach dem Berliner Patienten und dem Londoner Patienten der dritte Mensch auf der Welt, über den erfolgreich gesagt werden kann: Er wurde von HIV geheilt.

 


Eine Heilung für alle?

Dr. Björn-Erik Ole Jensen von der Uniklinik Düsseldorf warnt: Diese Methode ist erstmal keine, mit der alle HIV-Infizierten geheilt werden können.

Natürlich ist das jetzt nicht übertragbar als Heilungskonzept auf alle Patienten, die HIV-positiv sind, weil das viel zu riskant ist. Leider ist es so, dass eine Stammzelltransplantation mit der Vorbereitung dafür, mit Chemotherapie jeden sechsten bis siebten Menschen durch die Prozedur umbringen kann.

So ist das eben nur bei einer lebensbedrohlichen, nicht anders zu behandelnden schweren Blutkrebs-Erkrankung gerechtfertigt ist.

Aber wir lernen viel darüber, wie diese Prozesse funktionieren. Und wir lernen viel darüber, wie man vielleicht doch mit anderen Verfahren, die nicht so riskant sind und nicht so eine hohe Belastung mit sich bringen, vielleicht das gleiche Ziel erreichen kann.

- Dr. Björn-Erik Ole Jensen

Und wiederholt betont der Oberarzt des Universitätsklinkums:

So groß das Ziel der Heilung ist, das wir natürlich versuchen, zu erreichen:

Das, was wir bereits erreicht haben in den letzten 40 Jahren, nämlich dass man diese anfangs tödliche Krankheit inzwischen sehr gut behandeln kann und mit der man mit einer sehr hohen Lebensqualität weiter leben kann - das ist auch eine Sensation.

Auch wenn es eine Sensation über einen langen Zeitraum ist.

- Dr. Björn-Erik Ole Jensen


Wie geht es weiter?

Heute engagiert sich Marc Franke unter anderem für die AIDS-Forschung.

Er hat zuletzt auf einer Fachtagung in Hawaii vor Wissenschaftlern und Ärzten gesprochen. Er hat außerdem schon viel Blut und auch Organe gespendet, die auf der ganzen Welt untersucht wurden.

Marc Franke sammelt Spenden für einen Aidsfonds in den Niederlanden, weil er mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dort in engem Kontakt steht.

Eins seiner größten Ziele ist die Entstigmatisierung der Krankheiten HIV und AIDS. 

Außerdem ruft er jeden dazu auf, sich bei der DKMS als potentieller Stammzellspender zu registrieren. Die Registrierung ist einfach und kostenlos. Mehr Infos dazu findet ihr auf der Internetseite der DKMS.


Weiterführende Links

Informationen über HIV und AIDS: Aidshilfe NRW oder Deutsche Aidshilfe   

Lokale Hilfsangebote: Aidshilfe Paderborn

Informationen über Blutkrebs und Stammzellspende: DKMS

Medizinischer Bericht der Uniklinik Düsseldorf: Der Düsseldorf Patient

Weitere Spendenmöglichkeit: Deutsche AIDS-Stiftung


Bei Fragen oder Anregungen zum Thema, wendet euch gerne an Lea Wirz: lea.wirz@radiohochstift.de


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