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30 Jahre Schweigen: der Mordfall Alexandra Rousi

Der 14. Oktober 1994 verändert alles im Leben der Paderborner Familie Rousi. An diesem Tag wird die damals 62-jährige Griechin Alexandra Rousi ermordet. Ihr Sohn Nikolaos und ihre Schwiegertochter Chariklia werden verletzt.

Täter ist Hermann J., der zu der Zeit im selben Haus an der Detmolder Straße in Paderborn lebt. Er hatte die Familie schon in den Wochen vor der Tat immer wieder rassistisch beleidigt und bedroht. Am 14.10.1994 zündet er im Haus Benzin an - Alexandra Rousi stirbt. Auch Hermann J. erliegt noch am Tattag im Krankenhaus seinen Verletzungen.

"»Ich zünde euch alle an«, brüllt Hermann J. durch das Treppenhaus, wo ihm Nikolaos' Mutter Alexandra, 62, und dessen Frau Chariklia, 28, auf dem Weg zur Arbeit entgegenkommen. Die Frauen riechen das Benzin, sehen das haßverzerrte Gesicht des Nachbarn und stürzen sich auf ihn. Sprit schwappt über Kleider, Schuhe und den Boden, rinnt die Stufen hinab. Dann zieht der Mann die Streichhölzer heraus. [...]

Selbst Russis Kinder hatten unter den fremdenfeindlichen Tiraden zu leiden: »Geht doch dahin, wo ihr herkommt«, fauchte der Deutsche sie des öfteren an, »ihr Scheißausländer.«" (DER SPIEGEL, 30.10.1994).

Bis heute ist die Familie des Opfers traumatisiert. Bis heute warten sie unter anderem auf eine offizielle Beileidsbekundung von offizieller Stelle. Seit 30 Jahren herrscht in einigen Behörden dröhnendes Schweigen zu diesem Thema. Zum 30. Jahrestag haben wir wochenlang recherchiert und mit vielen Beteiligten gesprochen.

Weiter unten auf dieser Seite könnt ihr auch nachlesen, welche Folgen unsere Berichterstattung hatte.


Die Angehörigen

Wenige Monate nach dem Tod von Alexandra Rousi treffen Sohn Nikolaos und Schwiegertochter Chariklia die Entscheidung, nach Griechenland zurückzugehen. Die Tat und die anschließenden (Nicht-)Reaktionen in Paderborn haben sie laut eigener Aussage zu sehr geschockt. Bis heute sind sie wütend, traurig und traumatisiert. Sie leben in Perdika, im äußersten Westen Griechenlands. Alexandra Rousi wurde auf Korfu geboren und dort auch beerdigt.

"Sie war so eine tolle Frau. Ich werde sie nicht vergessen. Ich kann es nicht vergessen. Sie war immer für uns da. Die Frau war einfach toll." (Tina Curis)

Tina Curis, die Schwester von Chariklia, lebt bis heute in Paderborn. Ebenso ihr Sohn Konstantinos. Die 63-Jährige und der 37-Jährige haben ausführlich mit uns gesprochen. Sie möchten, dass Alexandra nicht in Vergessenheit gerät.


Die Justiz

Die Zuständigkeit für die Ermittlungsakte zum Paderborner Mordfall Alexandra Rousi liegt bei der Staatsanwaltschaft Paderborn. Unsere Recherchen zeigen:

  • 176 Seiten: Die Akte hat 176 Seiten. Für einen Mordfall ist das sehr wenig, schließlich enthält die Akte auch damalige Zeitungsartikel, Schreiben von Versicherungen etc. Die Ermittlungsberichte enden bereits auf Seite 140. Bei heutigen Tötungsdelikten haben die Akten laut einem Staatsanwalt "schnell 1.000-2.000 Seiten".
     
  • Motiv: Die Akte ist noch nicht öffentlich einsehbar. Was wir wissen: Die damals ermittelnden Polizistinnen und Polizisten schließen ein rechtsextremistisches Motiv des Täters Hermann J. relativ schnell aus. Die Staatsanwaltschaft sieht anschließend keinen Grund, daran zu zweifeln.
     
  • Einstellung: Trotz einiger Bürokratie werden die Ermittlungen bereits Anfang Januar 1995 eingestellt, weil Hermann J. am Tattag selbst gestorben ist.
     
  • Archivierung: Mutmaßlich Ende 2024/Anfang 2025 geht die Akte (nach 30 Jahren) ins Staatsarchiv über. Höchstwahrscheinlich geht diese Akte also ins Landesarchiv in Detmold.

Das Landeskriminalamt NRW startet Mitte 2022 das Projekt ToreG NRW.

ToreG steht für Todesopfer rechter Gewalt. Im Kern geht es um die Frage: Erkennt das LKA bzw. das NRW-Innenministerium nach einer Neubetrachtung weitere Tötungsdelikte aus der Vergangenheit als rechtsextremistisch motivierte Tötungsdelikte an?

Im September 2024 legt das LKA den lang erwarteten Abschlussbericht vor - darin heißt es zunächst:

“Verschiedene sogenannte Tötungsdelikte der letzten fast 40 Jahre, die in polizeilichen Statistiken als nicht rechtsextremistisch motiviert erfasst sind, im öffentlichen Diskurs aber wiederkehrend als rechtsmotiviertes Tötungsdelikt 'angeklagt' werden, hat das Projektteam in einem spezifischen Ansatz hinsichtlich der bestehenden Bewertungsdiskrepanz untersucht.”

Das Projektteam schaut sich über eineinhalb Jahre auch den Paderborner Mordfall Alexandra Rousi nochmal an - und kommt anschließend zu diesem Ergebnis: 

"Es ist festzustellen, dass ein politisches Element/Motiv im Hinblick auf eine Einordnung PMK-rechts (Politisch motivierte Kriminalität rechts, d. Redaktion) weder eindeutig erkennbar noch eindeutig abwesend ist."

Auf Nachfrage nennt das LKA mehr Details zu der Vorgehensweise in einzelnen untersuchten Mordfällen. In Bezug auf den Paderborner Mordfall Alexandra Rousi schreibt das LKA auf Radio Hochstift-Anfrage:

"Die Arbeit des Projekts basierte primär auf einer Auswertung und Analyse der Urteile beziehungsweise der Verfahrens-/Ermittlungsakten. Dabei war eine Recherche im Landesarchiv in dem benannten Fall von 1994 in Paderborn nicht nötig. Die relevanten Akten konnten erschlossen werden. Die Erhebung ergänzender oder weiterführender Informationen durch Gespräche, Vor-Ort-Besuche o.ä. war nicht Teil des Projektauftrags."

Hierzu muss ergänzt werden, dass es 1994 kaum weitergehende Ermittlungen, keine Anklage und auch keinen Prozess gegen den Täter Hermann J. gab. Dieser starb schließlich noch am Tattag im Krankenhaus an den Folgen seiner Brand-Verletzungen. Ermittlungen gegen Tote gibt es in Deutschland grundsätzlich nicht.

Hier könnt ihr den kompletten Abschlussbericht des LKA nachlesen.

Massive Kritik am Projekt ToreG

Die Kritik am Projekt ToreG lässt nicht lange auf sich warten. Nur einen Tag nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts äußern bspw. die Opferberatung Rheinland und die Betroffenenberatung BackUp in einem langen Statement "erhebliche Kritik an der Durchführung des Projekts ToreG NRW". Die Beratungsstellen sprechen unter anderem von "verpassten Chancen zur traumasensiblen Aufarbeitung für Betroffene", von "unklarer Methodik und fragwürdiger Selbstbewertung" und einer "Verletzung der Standards für politisch motivierte Kriminalität".

Besonders deutlich werden die Beratungsstellen in Bezug auf den Paderborner Mordfall Alexandra Rousi:

"Dass beispielsweise die ermordete Alexandra Rousi aus Paderborn nicht als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt wird, nur weil der eindeutig rassistisch handelnde Täter beim Brandanschlag ebenfalls ums Leben kam, ist ein Schlag ins Gesicht für die Angehörigen" (Thomas Billstein, BackUp NRW).

Auch der bundesweite Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) spart in der ebenfalls im September 2024 veröffentlichten Stellungnahme nicht an Kritik:

"Überlebende und Hinterbliebene der nach Abschluss von ToreG nicht anerkannten rassistisch motivierten Brandanschläge in Duisburg 1984, in Paderborn 1994 und in Köln-Gremberg 1994 kritisieren, dass die als Opferzeug*innen nicht angehört und auch nicht über die Überprüfung informiert wurden." (Heike Kleffner, VBRG e.V.)

 

Die Lokalpolitik

Wie denkt die Paderborner Lokalpolitik im Jahr 2024 über den Fall Alexandra Rousi? Um diese Frage beantworten zu können, schickten wir vielen Parteien aus dem Kreis Paderborn einen kleinen Fragenkatalog. Wir wollten unter anderem wissen,

  • 1) wie oft in der jeweiligen Partei in den vergangenen Jahren über Alexandra Rousi gesprochen wurde,
  • 2) wie die jeweilige Partei die Erinnerungskultur in diesem Fall bewertet
  • 3) wie sinnvoll sie eine nachträgliche offizielle Beileidsbekundung bzw.
  • 4) die Installation einer Gedenktafel o.ä. fände

Zuletzt wollten wir erfahren,

  • 5) welche Maßnahmen aus Sicht der jeweiligen Partei ergriffen werden sollten, um ähnliche Taten in Paderborn künftig zu verhindern.

Die Rückmeldungen sind zum Teil sehr ausführlich. Deshalb haben wir uns für eine möglichst umfassende Abbildung der Antworten entschieden.

Die CDU beantwortete die Fragen in einem Block:

"Aufgrund des jüngeren Lebensalters oder eines anderen Wohnsitzes, ist dieses schicksalhafte Geschehen dem CDU Stadtverband Paderborn nicht bewusst gewesen. Nach der Auseinandersetzung mit den vorliegenden Informationen, macht der grausame Mord an Alexandra Rousi und die weiterhin verständliche emotionale Belastung der Angehörigen und Freunde im In- und Ausland, uns betroffen. Als CDU trauern wir mit Alexandra Rousis Familie und all ihren Freunden.

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass es Menschen gibt, die regelmäßig an den furchtbaren Brandanschlag und damit an Alexandra Rousi erinnern und sie als Menschen nicht vergessen lassen. Dadurch wird in der Bevölkerung und auch bei uns in der CDU immer wieder über den Mordfall gesprochen und ein Gesicht gegeben.

Als CDU Paderborn begrüßen wir die Bestrebungen nach einem stärkeren Gedenken an Alexandra Rousi. Einer Gedenktafel am damaligen Tatort stehen wir offen gegenüber.

Klar ist: Wir müssen rechtsextreme und jede andere Form von Gewalt entschlossen und kraftvoll bekämpfen. Das schließt auch eine stärkere Erinnerungsarbeit an die Opfer rechtsextremistisch motivierter Gewalt ein.

In Nordrhein-Westfalen und in Paderborn setzen wir auf eine konsequente Null-Toleranz-Linie gegen jede Form von Extremismus. Dazu brauchen wir weiterhin gut ausgestattete Sicherheitsbehörden und unbedingt auch die konsequente Anwendung, möglicherweise auch Veränderung, unserer gesetzlichen Möglichkeiten. Auch das ist unsere politische Verantwortung, für die es sich lohnt wachsam jeden Tag zu arbeiten."

"1) Bei den Grünen ist Alexandra Rousi Thema im Stadtvorstand und in der Fraktion gewesen. Bisweilen auch im Kontext von Veranstaltungen wie der Installation im Raum für Kunst, wo in der Reihe von Opfern rechter und rassistischer Gewalt auch Alexandra Rousi dokumentiert worden ist. Für uns liegen der Tat klare rassistische und fremdenfeindliche Motive zugrunde.

2) Initiativen zum Erinnern sind immer von zivilgesellschaftlichen Organisationen ausgegangen. Nie seitens der Stadt. Mit Recht hat die Amadeu-Antonio-Stiftung Alexandra Rousi auf der Liste Opfer rechter Gewalt aufgeführt. Die Familie lebte in einem städtischen Gebäude, wo der Mord geschah. Das damalige Fehlurteil, der Mordanschlag auf die Familie Rousi sei nicht rassistisch und rechtsextrem motiviert gewesen, lässt sich nicht halten und muss revidiert werden. Zur überfälligen Neubewertung sollten die politischen Verantwortlichen beitragen.

Der dreißigste Jahrestag am 14. Oktober bietet einen guten Anlass, das Schweigen zu brechen.

3) Inzwischen ist die Sensibilität in der Stadtgesellschaft und das politische Bewusstsein gewachsen, dass wir alle Rassismus und rechtsextremer Gewalt entschieden entgegentreten müssen. Das schafft die Grundlage für eine Neubewertung des Anschlags auf die Familie Rousi. Wir Grünen begrüßen eine Beileidsbekundung.

4) Wichtiger ist uns Grünen (aber), dass das Gedenken an Alexandra Rousi einen öffentlichen Ort und würdigen Rahmen bekommt. Die genaue Inschrift und Platz der Gedenktafel muss gut gewählt sein. Die Erinnerung muss verknüpft sein mit einer Handlungsaufforderung aktiv für Menschenwürde und gegen Hetze und Gewalt einzutreten.

5) Viele gute Ansätze verfolgten die Wochen gegen Rassismus mit den vielfältigen Veranstaltungen, die Projekte der Schulen ohne Rassismus und mit Courage, aber auch die Quartiersarbeit und die internationalen Feste, um ein friedliches und soziales Miteinander zu verstärken. Hier sind wir politischen Verantwortlichen aufgefordert, diese Aktivitäten verlässlich abzusichern und auszubauen."

 

"1) Wir müssen gestehen: der Fall ist vielen Mitgliedern unserer Partei nicht präsent, sei es, weil sie schlichtweg noch zu jung sind oder vor 30 Jahren noch nicht in Paderborn lebten, aber auch, weil der Mordfall Alexandra Rousi im öffentlichen Raum in den vergangenen Jahren nicht thematisiert wurde. Innerhalb unserer Partei wurde der Fall im vergangenen Jahr am Rande erwähnt, als es um das Gedenken an die Opfer des Brandanschlags von Solingen 1993 ging. In dem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass auch eine griechische Mitbürgerin in Paderborn Opfer von Rechtsextremismus wurde.

2) Zugegebenermaßen ist diese Erinnerungsarbeit kaum bis gar nicht vorhanden. Es ist gut, dass Sie von Radio Hochstift mit Ihrer Anfrage den Fokus darauflegen, zumal angesichts des Erstarkens rechtsextremer Kräfte Erinnerungsarbeit an konkrete Fälle immer wichtiger wird, schon allein um zu zeigen: Rechtsextremismus gibt es auch bei uns, auch in Paderborn fordert er Opfer, auch wir müssen uns dagegen aufstellen.

Jedes Opfer von Gewalt und Rechtsextremismus ist eines zu viel! Das Gedenken an Alexandra Rousi ist dem bisher nicht gerecht geworden.

3) Das Verhalten der Behörden oder des Rates der Stadt Paderborn können wir nicht beurteilen, da die handelnden Akteure andere waren. Ob eine nachträgliche Beileidsbekundung im Sinne der Angehörigen wäre, wäre zu hinterfragen. Für ein ehrendes Andenken ist es nie zu spät, es sollte aber in Absprache mit den Angehörigen erfolgen.

4) Wir würden das begrüßen, wenn die Angehörigen das befürworten oder wünschen.

5) Zunächst einmal sollten alle Demokraten in Paderborn zusammenstehen. Die Demonstrationen der vergangenen Monate haben gezeigt, dass Paderborn bunt, vielfältig und weltoffen ist und eine Vielzahl der Menschen in unserer Stadt dem Rechtsextremismus keine Chance lässt. Zivilcourage und ein offenes Eintreten für Demokratie und Vielfalt sind die wichtigsten Pfeiler im Kampf gegen Extremismus. Wir als SPD stehen fest an der Seite unserer Partner im Bündnis für Demokratie und Toleranz und bieten der AfD auch im Stadtrat die Stirn. Dennoch: einzelne Gewalttaten werden sich nie gänzlich verhindern lassen. Mit einer Kultur des Miteinanders, die in Paderborn in den letzten Jahren sehr gestärkt wurde – auch durch gute Arbeit unseres Integrationsrates – können wir rechtsextremen Tendenzen entgegenstehen."

Die Linke beantwortete die Fragen gleich doppelt - einmal durch die Ratsfraktion (Reinhard Borgmeier, RB) und einmal durch den Stadtverband (Ecki Steinhoff, ES):

"1) Der schreckliche Anschlag auf Alexandra Rousi war in der letzten Zeit tatsächlich nur gelegentlich Thema. Häufig durch unsere Verbindungen zum Bündnis gegen Rechts, wo der Anschlag öfter zum Thema gemacht wurde. (ES)

2) Nach allem was bekannt ist, ist Frau Rousi offensichtlich ein Opfer rechter Gewalt geworden. Das wollte aber zu der Zeit niemand wahr haben. Es gab null Interesse an der Aufkärung der Hintergründe. Es gibt auch bis heute kein "offizielles" Interesse an Aufarbeitung oder Erinnerung. Das ist schon beschämend. Die Strafverfolgungsbehörden haben nach dem Tod des Täters die Ermittlungen umgehend eingestellt. (RB)

3) Sofern eine Beileidsbekundung (und eine mögliche Entschuldigung für das jahrelange Verschweigen der Tat) seitens der Stadt den Angehörigen ein Bedürfnis ist und sie in ihrer Trauer und ihrem Gedenken hilft, sind wir selbstverständlich dafür, eine solche Erklärung abzugeben. Das dies bisher nicht geschehen ist, kann wohl der Tatsachen zugeschrieben werden, dass durch den Tod des Attentäters kein Prozess stattgefunden hat, der zu einer Klärung der Umstände und einer Aufarbeitung beigetragen hätte. Dadurch war es für die damals Verantwortlichen, aber auch für die gesamte Stadtbevölkerung leichter, darüber hinweg zu gehen und den Anschlag nicht als rassistisch motiviert zu bennenen. (ES)

4) Die Installation einer Gedenktafel in Tatortnähe – möglicherweise unter Mitwirkung und Beteiligung der Angehörigen von Alexandra Rousi – ist in unseren Augen eine absolut angebrachte Möglichkeit, an diesen furchtbaren Anschlag zu erinnern. Ähnliche Tafeln sind im Stadtgebiet zur Erinnerung an die Grauen des Zweiten Weltkriegs selbstverständlicher Teil des Stadtbildes.

Auch die Benennung einer Straße nach Alexandra Rousi – insbesondere angesichts zahlreicher neu zu benennender Straßen auf den Konversionsflächen – werden wir in den politischen Diskurs einbringen. (ES)

5) Die Zeit der Verharmlosung und Vertuschung ist vorbei. Noch immer ist in der Regel von Einzeltätern die Rede. Erforderlich ist eine offensive Auseinandersetzung mit rechter Gewalt und konsequente juristische Verfolgung." (RB)

"1) Der Mordfall Rousi war vor Ihrer Anfrage kein Thema.

2) Eine Bewertung der Erinnerungsarbeit ist uns nicht möglich, Engagement in der Sache scheint jedoch vor allem zivilgesellschaftlich geprägt zu sein.

3) Eine nachträgliche Beileidsbekundung der Stadt Paderborn erachten wir, auch als Anerkennung der Tat als rassistisch motiviert, für sinnvoll; gerade mit Blick auf aktuelle Entwicklungen.

4) Aus unserer Sicht spricht nichts gegen die Installation einer Gedenktafel, um auf das Opfer, die Tat und vor allem die Tatmotive aufmerksam zu machen.

5) Ideologisch motivierte Taten können nur schwerlich durch einzelne Maßnahmen verhindert werden. Einer immer weitergehenden Radikalisierung, die im schlimmsten Falle in solchen Taten mündet, kann nur die gesamte Gesellschaft entgegentreten. Dabei helfen deutliche Worte im privaten Umfeld im Zweifel mehr als große, öffentlichkeitswirksame Demonstrationen.

Darüber hinaus braucht es eine Sensibilisierung der Strafverfolgungsbehörden. Der Berichterstattung zu diesem Fall ist zu entnehmen, dass es bereits weit im Voraus der Tat rassistische Zwischenfälle gab und die Tat angekündigt wurde."


Die Stadt Paderborn

Die Stadt Paderborn bestätigt, dass es in den vergangenen Jahren mehrfach Anfragen zum Paderborner Mordfall Alexandra Rousi gab. 2022 habe sich die Opferberatungsstelle Rheinland "mit der Bitte um Unterstützung gemeldet". Im selben Jahr gab es außerdem:

"[...] eine Anfrage des Bundesamtes für Justiz im Hinblick auf Gewährung von Entschädigungen für Opfer extremistischer Gewaltverbrechen." (Stadt Paderborn)

Im Jahr 2024 gab es dann noch die Anfrage eines Promotionsstudenten, "der sich in seiner Dissertation damit befasst, wie an Menschen erinnert wird, die durch rechte bzw. rechtsradikale Angriffe ums Leben gekommen sind".


Die Zivilgesellschaft

Kurz nach der Tat im Oktober 1994 demonstrieren etwa 300 Menschen, die meisten von ihnen Griechinnen und Griechen, in Paderborn gegen Ausländerfeindlichkeit. Anschließend passiert kaum noch etwas.

Etwa seit dem Jahr 2021 beschäftigen sich auch einzelne zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure wieder mit dem Fall Alexandra Rousi - bundesweit und vor Ort in Paderborn.

"Inzwischen versuchen wir mehr Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, z.B. auch im Rahmen unserer Infovorträge zu Rechten Strukturen in Paderborn. Wir beginnen jeden dieser Vorträge, indem wir Alexandra Rousis Geschichte erzählen und anschließend eine Schweigeminute abhalten." (Paderborner Bündnis gegen Rechts)

Unter anderem nahm die Berliner Amadeu Antonio-Stiftung den Fall in ihre Liste der Todesopfer rechter Gewalt auf und widmete dem Mordfall Alexandra Rousi einen langen Artikel.

In Paderborn engagieren sich unter anderem das Bündnis gegen Rechts und die Black Community Foundation. Im Oktober 2021 organisierten die Gruppierungen bspw. eine Mahnwache auf dem Paderborner Rathausplatz anlässlich des 27. Todestags von Alexandra Rousi.

Im Radio Hochstift-Gespräch erklärt eine Sprecherin des Paderborner Bündnis gegen Rechts:

"Wir unterstützen den Wunsch der Familie, sowohl den Mord selbst als auch die psychische Gewalt im Vorfeld als rassistische Taten anzuerkennen. Für uns kann eine Anerkennung allerdings nur der erste Schritt sein. Wir fordern auch eine Aufarbeitung seitens der Politik und Stadtverwaltung ebenso wie ein aktives Gedenken und Auseinandersetzen mit rassistischen Taten. Die Schaffung eines Gedenkortes sollte unseres Erachtens ein weiterer wichtiger Schritt sein. Das Gedenken kann dann an einem zentralen Ort stattfinden und Bezüge zum Leben der Opfer aufweisen.
Uns ist besonders wichtig, dass aus diesen ersten Schritten eine antirassistische Handlungsweise wird, die ein Wegsehen, Leugnen und Vergessen nicht noch einmal zulässt."

Im Dezember 2022 war im Raum für Kunst in Paderborn die Ausstellung Gegenwärtig zu sehen. Gemeinsam mit Matthias Zimoch von der Servicestelle Antidiskriminierungsarbeit (ADA) des Caritasverbands Paderborn stellten die beiden Künstler Wolfgang Brenner und Michel Ptasinski 16 Figuren aus Pappe aus. Auf den Figuren waren die Namen hunderter Todesopfer rechter Gewalt verzeichnet - auch der von Alexandra Rousi.
 


Der Fotograf

"Ich will ein Zeichen setzen. 226 Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung - das ist erstmal ne Zahl. Aber wenn man zu allen Todesopfern ein Foto von dem Ort hat, an dem diese Taten stattgefunden haben, wird es plötzlich schrecklich real."
(Julius Schien, Initiator des Projekts Rechtes Land)

Julius Schien ist Fotograf und lebt in Hannover. Seit dem Jahr 2021 treibt der 32-Jährige sein Projekt Rechtes Land voran. Er fotografiert bundesweit Tatorte, an denen Menschen durch rechte Gewalt gestorben sind. Im September 2024 haben wir uns mit ihm an der Detmolder Straße 96 in Paderborn getroffen - dem Ort, an dem Alexandra Rousi ermordet wurde. Er hat uns ausführlich erzählt, warum er das Projekt initiiert hat, wie er arbeitet und warum auch der Paderborner Tatort für ihn besonders ist.

Seine Fotos findet ihr zum Teil auch auf seiner Instagram-Seite rechtes.land.


Die bundesweite Berichterstattung

Für eine der ersten ausführlichen Berichterstattungen sorgt bereits am 30.10.1994 der Journalist Mathias Müller von Blumencron. In der SPIEGEL-Ausgabe 44/1994 veröffentlicht er einen Artikel zum Mordfall Alexandra Rousi unter dem Titel "Ein schreckliches Verbrechen, gewiß". Der Artikel ist bis heute in voller Länge einsehbar.

Seit dem Jahr 2010 pflegen ZEIT ONLINE und der Tagesspiegel eine interaktive Karte, die die Fälle darstellt, in denen Menschen seit der Wiedervereinigung von rechten Gewalttätern umgebracht wurden. Die Besonderheit: Sie ergänzen die offiziell anerkannten Fälle um die Morde, in denen die Opfer auch nicht Opfer gewöhnlicher Kriminalität wurden, sondern von rechtsmotivierten Gewalttätern getötet wurden.

Seit 2020 taucht auch der Mordfall Alexandra Rousi in der Dokumentation auf. Die Redakteurinnen und Redakteure hatten durch Zufall in Griechenland von dem Mord erfahren. Die Berichterstattung im Jahr 2020 gab den Startschuss für weitere Nachrichten und Artikel - unter anderem auch für die Veröffentlichung von Radio Hochstift und der Neuen Westfälischen im Jahr 2020.


Die Wissenschaft

In den vergangenen Monaten und Jahren wird der Mordfall Alexandra Rousi immer häufiger ein Thema für die Wissenschaft. Im Wintersemester 2020/2021 beschäftigten sich Studierende der Uni Paderborn in einem Seminar mit dem Titel Die Geschichte der extremen Rechten in Deutschland ab Mitte der 1960er Jahre auch mit dem Mord an Alexandra Rousi. Unter anderem wühlten sie in Archiven und konnten so aufzeigen, wie 1994 berichtet wurde:

Im Wintersemester 2023/2024 leitete Christoph Lorke ein Seminar an der Uni Münster mit dem Titel Rechtsextremismus in der Region. Lorke ist Lehrbeauftragter an der Uni Münster und wissenschaftlicher Referent im Institut für Regionalgeschichte des LWL. Die Seminar-Teilnehmenden schauten sich insbesondere das Münsterland und Ostwestfalen-Lippe in früheren Jahrzehnten an.

Unter anderem ging es auch um ein Rechtsrock-Konzert in Nieheim im Jahr 1989 - hierzu schrieb Lorke im Anschluss an das Seminar in einer Veröffentlichung mit dem Titel Rechtsextremismus in der Region: Westfalen 1960-1990:

"Am 17. Juni 1989 veranstalteten Skinheads aus der Region ein Musikfestival in Nieheim, zu dem ungefähr 700 Personen aus ganz Deutschland in der dortigen Stadthalle zusammenkamen. Neben Werwolf und drei weiteren deutschen Bands spielte auch die englische Band Screwdriver, welche als internationale Vorreiterin in der rechtsextremen Skinheadmusik und als treibende Kraft in der Szene galten, ihr erstes Konzert in Deutschland. Auf dem Festival wurden [...] verfassungsfeindliche Parolen skandiert. Nach dem Konzert kam es zu Ausschreitungen [...]. Die Polizei griff nur vereinzelt ein, löste die Veranstaltung allerdings nicht auf. [...] Eine anschließende Diskussionsrunde, an der neben der Stadtverwaltung auch lokale Vertreterinnen und Vertreter der CDU und SPD und interessierte Bürger:innen teilnahmen, schloss die zukünftige Vermietung städtischer Örtlichkeiten für rechtsradikale Veranstaltungen aus."

Anstoß für das Seminar an der Uni Münster war für Christoph Lorke auch der Fall Alexandra Rousi. Wir haben mit dem 40-Jährigen über den Paderborner Mordfall und die Erinnerungskultur gesprochen:

Radio Hochstift: Herr Lorke, warum beschäftigen Sie sich freiwillig mit dem Rechtsextremismus auf dem Land?

Christoph Lorke: "Das Anliegen unserer Lehrveranstaltung bedeutete für uns eher Unbekannteres etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Wir kennen Solingen, Mölln, Hoyerswerda und andere Fälle, die recht prominent waren und auch bis heute sind. Aber die normalisierten und auch akzeptierten Einstellungen und auch Praktiken und Vorstellungen von Rechtsextremismus und rechter Gewalt in Landstrichen, wo man vielleicht nicht sofort denkt, dass es eine größere Rolle gespielt hat, die bleiben oftmals unterbelichtet. Unser Ziel mit dem Blick auf das nördliche Nordrhein-Westfalen, auf das Gebiet von Westfalen, Lippe, Ostwestfalen und so weiter, war, eben auch hier die unbekannteren Fälle mal deutlich anzugehen, uns anzuschauen, zu historisieren."

Das komplette Interview könnt ihr an dieser Stelle nachlesen.


Die heutigen Bewohnerinnen und Bewohner

Seit September 2023 lebt Theresa Stermann mit ihren Kindern in dem Haus an der Detmolder Straße 96. Gefühlt ist die 42-Jährige aber seit Jahrzehnten mit dem Haus und seiner Geschichte verbunden. Zum Zeitpunkt der Tat lebte sie in direkter Nachbarschaft, an der Detmolder Straße 97. Später lebten ihre Schwiegereltern in der Detmolder Straße 96 - also in dem Haus, das seit 1981 im Besitz der Stadt Paderborn ist.

"Man kann nicht wieder gut machen, was passiert ist. Aber ich denke: Es muss gehört und gesehen werden, was hier passiert ist. Es ist schade um die Frau." (Theresa Stermann)

Radio Hochstift-Redakteur Tobias Fenneker hat mit Theresa Stermann gesprochen:


On Air

So klang die Berichterstattung zu diesem Thema on Air:


Die Folgen unserer Berichterstattung

Nach unserer Berichterstattung im September 2024 kommt sehr schnell Bewegung in dieses Thema - in der Politik und der Zivilgesellschaft.

Die Politik

September 2024
Auf Antrag der Grünen befasst sich der Paderborner Rat am 26.09.2024 mit dem Mordfall Alexandra Rousi.

Mit großer Mehrheit stimmen die Ratsmitglieder dem Antrag zu - es gibt lediglich drei Nein-Stimmen. Unter anderem die Neue Westfälische und das Westfälische Volksblatt berichten ausführlich über die Ratssitzung.

Oktober 2024

Am 31.10.2024 beschäftigt sich auch der Paderborner Bauausschuss mit dem Thema Alexandra Rousi. Die Linke hatte beantragt, "dass eine Straße/einen Platz nach Alexandra Rousi benannt werden soll" - dieses solle nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zum Ratsbeschluss verstanden werden.

Nach intensiver Diskussion zieht Die Linke den Antrag in der Sitzung zurück. Die Fraktionen verständigen sich darauf, zunächst abzuwarten, was die Stadtverwaltung nach dem bereits erfolgten Ratsbeschluss erarbeitet.

Dezember 2024

In der Diskussion um eine Schweigeminute bzgl. eines anderen Vorfalls in Paderborn greift Verani Kartum im Dezember 2024 erneut den Fall Alexandra Rousi auf.

Wörtlich schreibt das fraktionslose Ratsmitglied: "Ich würde mir vielmehr wünschen, dass wir eine Gedenkminute für Alexandra Rousi abhalten, die aus rassistischen Motiven getötet wurde. Hier wünschen sich die Angehörigen, dass es politisch und gesellschaftlich in Paderborn so anerkannt wird. Nach 30 Jahren würden die Angehörigen so zur Ruhe kommen und damit abschließen."

Juli 2025

In der Hauptausschuss-Sitzung am 03.07.2025 präsentiert Bürgermeister Michael Dreier das Ergebnis der Verwaltungsarbeit. Die Stadt schlägt demnach vor, eine Straße nach Alexandra Rousi zu benennen. Konkret geht es um einen Seitenarm der Detmolder Straße. Das Haus, in dem Alexandra Rousi ermordet wurde, würde dann künftig in direkter Nähe zur Alexandra Rousi-Straße stehen. Wörtlich sagt Michael Dreier: "Wir haben uns intensiv damit befasst".

Neben Radio Hochstift berichten auch die Neue Westfälische und das Westfälische Volksblatt erneut über diese Entwicklung.

Die Zivilgesellschaft

In der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober gestalten Unbekannte den Paderborner Kardinal Degenhardt- in den Alexandra Rousi-Platz um. Unter anderem platzieren sie eine eigene Gedenktafel und überkleben das Straßenschild. In einem begleitenden Schreiben, das unter anderem an die lokalen Medien verschickt wird, fordern die Unbekannten eine "dauerhafte Umbenennung des Platzes".

Unter den gut 60 Teilnehmenden der Mahnwache sind auch Angehörige von Alexandra Rousi. Sie beschreiben unter Tränen, wie sie Alexandra vermissen. Gleichzeitig erklären sie sich dankbar für die Veranstaltung. Ratspolitiker von Grünen, SPD und Linke geben ein gemeinsames Statement ab: Sie halten den Mord an Alexandra Rousi ebenfalls für rassistisch motiviert.

Auch die KollegInnen der Neuen Westfälischen und des Westfälischen Volksblatts berichten erneut.

Neben dem lokalen Gedenken gibt es am 14.10.2024 erneut auch landes- und bundesweite Erinnerungen an Alexandra Rousi - zum Beispiel auf den Social Media-Kanälen der Opferberatung Rheinland und der Amadeu Antonio-Stiftung.


Fragen und Feedback

Ihr habt Fragen zu dieser Geschichte? Ihr wollt einen Kommentar abgeben? Gerne! Schreibt einfach eine Mail an tobias.fenneker@radiohochstift.de


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